Bahngleis 7

Du wartest auf dem Bahnhof, es ist kalt. Du hast dir vor Hunger noch ein Sandwich geholt, das du gleich im Zug in aller Ruhe verputzen willst.

Bing, es kommt eine Durchsage.
Der angestrebte Zug kommt mit 10 Minuten Verspätung. Toll!
Nachdem sich vorher schon die Ticketschalter ihrem Dienst entsagt haben und du wie ein Fragezeichen vor dem Automaten standest, hatte man schon eine gewisse Hoffnung, dass ab jetz alles nach Plan laufen würde.

Und nun stehst du wieder da mit Knast, einem Sandwich und der hundertprozentigen Sicherheit, dass in 10 Minuten an keinen erlabenden Essgenuß zu denken ist. Und wenn du doch die quälende Wartezeit auf dich nimmst, dann kommt doch nur eine weitere Durchsage, die Verspätung verlängere sich um weitere Minuten.
So wartest du am Bahnsteig 7 mit dieser Gewissensentscheidung, bei der sich dein Bauch lautstark zu Wort meldet, dass sich die übrigen Reisenden nur verlegen wegdrehen. Doch ehe eine Entscheidung gefasst ist, ein weiteres Bing …

Meine Damen und Herren am Bahnsteig 7. Die Ankunft des Zuges verzögert sich vorraussichtlich um 20 Minuten.
Danke!

Selten ist eine schlechte Nachricht so schön gewesen wie jetzt. Auf die Bahn ist eben doch Verlass.

Du suchst dir ein ruhiges Plätzchen, ok Bänke sind keine mehr frei, aber in der Not der Stunde tut es auch ein Treppengeländer. Mit einer gewissen Spannung und Vorfreude im Anblick des magenfüllenden Genusses packt man das Sandwich behutsam aus seiner Verpackung, ähnlich wie man seiner Geliebten gerne aus der störenden Umhüllung befreit.
Da liegt es vor dir, blank, bereit sich dir zu ergeben.

Für einige Minuten blendet sich die Welt um einen aus. Volle Konzentration auf die Sache. Der nervende Zeitungsboy, der klapprige Alte hinter dir, der seine Reichspfennige sortiert, die Taube nebenan und auch die andauernden Verzögerungsdurchsagen vermögen es nicht diese Idylle zu stören.

Du wachst wieder auf.
Stehst immernoch am Bahnsteig, frierst dir die Finger ab. Die Taube hat ein Pommes-Frites gefunden, der Alte hat 75 Pfennig zusammen und der Zeitungsjunge versucht zu erklären was ein Euro ist.
Dein überpfeffertes Sandwich ist weg. So ist der Hunger, aber auch der befriedigende Moment der Meditation. Der Blick auf die Uhr offenbart: noch 15 Minuten.

Noch 15 lange Minuten …